Eigentlich bin ich im EM-Fieber… Heute gehen die Halbfinalspiele los, und die Welt dreht sich um zwei Diven. Morgen hat die deutsche Nationalmannschaft die „heilige Pflicht“, mal wieder den Gastgeber rauszuschmeißen. Und überall hört man Diskussionen über die Frage, ob es eigentlich schöner Fußball ist, was wir da sehen oder nur ödes „Betonwandspiel“, nur um ja kein Risiko einzugehen.

Ich finde, das ist wie im „richtigen Leben“. Und weil das Thema Fußball in diesen Tagen in aller Köpfe ist, mache ich es auch zum Thema meines Juli-Beitrags.

Was hat Fußball mit Achtsamkeit zu tun?

Wer fleißig meine Beiträge liest oder sich auf anderem Weg über Achtsamkeit informiert, kennt die wichtigsten Säulen der Achtsamkeit:

Zielgerichtetheit  –  Anfängergeist  –  Akzeptanz  –  Toleranz  –  Geduld

All diese Eigenschaften sind wichtig, wenn man eine Aufgabe meistern will. Egal ob es sich um ein persönliches Ziel, eine berufliche Herausforderung oder eine Europa-Meisterschaft handelt. Aus diesem Grund faszinieren mich die „großen“ Fußballduelle so. Hier sieht man wirkliche Meister der wichtigsten Achtsamkeitsdisziplinen.

Zielgerichtetheit

„Wer kein Ziel hat, braucht gar nicht erst loszulaufen“, heißt es so schön. Im Fußball heißt das wahrscheinlich: Wer nicht gewinnen will, braucht gar nicht erst anzutreten. Ein Ziel kann die Europameisterschaft sein. Muss es aber nicht. Es kann auch bedeuten, die Vorrunde zu bestehen. Nicht letzter zu sein. Sein Publikum zu begeistern. Oder einfach dabei zu sein und sein Bestes zu geben. Egal, wie hoch das Ziel gesteckt wird: Man braucht es, muss es klar vor Augen sehen, wie einen Leuchtturm – sonst kann man es gleich bleiben lassen. Wenn wir in die Augen eines EM-Teilnehmers schauen, dann können wir das erkennen. Sie strahlen vor Entschlossenheit. Sie wollen ihr Ziel erreichen. Man kann förmlich die Karotte sehen, die da vor ihren Augen hängt und lockt… Denjenigen, die erkennen, dass sie das selbstgesteckte Ziel nicht erreichen werden, sieht man es auch an. Sie werden müde und antriebslos, stolpern und machen Fehler.

Anfängergeist

Wie spannend und ungemein fesselnd es ist, irgendetwas zum ersten Mal zu machen, konnte man ganz besonders schön am Beispiel der „Underdogs“ Nordirland und Island sehen. Sie waren so stolz, dabei zu sein und staunten selbst am meisten über jeden Erfolg, den sie erzielen konnten. Dies ist einer der Gründe, warum es so schön war, diesen Mannschaften bei ihrem Spiel zuzuschauen. Anfängergeist ist das Gegenteil von ermüdender, langweiliger Routine. Das spüren auch die Zuschauer und danken es ihnen durch besonderen Applaus.

Wenn Du versuchst, immer mal wieder irgendeine Aktivität mit Anfängergeist anzugehen, wirst Du merken, wie abwechslungsreich und unterhaltsam auch vermeintliche Routinetätigkeiten sein können. Es macht einfach mehr Spaß! Und nebenbei macht man auch weniger Fehler. Denn Routine ist die kleine Schwester von Nachlässigkeit. Und wohin die führen kann, weiß wohl jeder von uns. Flüchtigkeitsfehler nannte man das früher in der Schule. Das waren die, die uns am meisten geärgert haben, oder? 😉

Akzeptanz

Akzeptanz ist das Gegenteil von dem, was wir von morgens bis abends tun: bewerten, taxieren, abkanzeln. Schon Buddha wusste, dass dieses ewige Bewerten im Grunde der Anfang allen Leids ist. Dabei rührt dieser Zwang, alles blitzschnell in eine Schublade zu stecken (gut/schlecht – angenehm/unangenehm – will ich/will ich nicht …) von einem Ur-Automatismus in unserem Gehirn, der eigentlich die allerbeste Absicht hat: unser Überleben zu sichern. Aber leider haben wir uns schon so sehr daran gewöhnt, dass wir den Automatismen nicht nur dann, wenn es lebensnotwendig ist, das Kommando überlassen, sondern wir lassen uns auch sonst allzu gern in diese Gewohnheit fallen und bewerten alles, was uns so begegnet – munter drauflos! So bekommt alles und jeder sein Etikett: „Gefällt mir – gefällt mir nicht“. Ronaldo gefällt nicht. Naja, sein Sixpack vielleicht schon. Die Isländer gefallen. Die Deutschen gefallen, aber nur, wenn sie „schön“ Fußball spielen. Gewinnen müssen sie aber auch…

Wie schön war es, die irischen und isländischen Fans zu beobachten. Die Iren haben aus der EM einfach eine schöne, friedliche Party gemacht und wunderschöne Balladen zum Spiel ihrer Mannschaft gesungen. Irgendwie schienen sie weiter keine Erwartungen zu haben. Und wer (vor allem) das letzte Spiel der Isländer gesehen hat, der hat ein besonders schönes Beispiel von Akzeptanz – ich möchte fast sagen, bedingungsloser Liebe – zu sehen bekommen. Akzeptanz bedeutet: Die Dinge so betrachten wie sie sind. Freundlich und wohlwollend. Erwartungsfrei. Dankbar. Huh!

Toleranz

Ja, auch zum Thema Toleranz kann uns die EM das eine oder andere lehren. Ich denke gerade an die beiden Torwart-Giganten Gian Luigi Buffon und Manuel Neuer, die sich nach dem Elfmeter-Krimi zwischen Deutschland und Italien umarmt haben. Zu Toleranz gehört es auch, ein guter Verlierer zu sein. Vor allem gehört auch dazu, ein fairer Gewinner zu sein. Gerade, wenn es in die K.O.-Runde geht und die besten Mannschaften um den Erfolg kämpfen, ist es umso wichtiger, einander mit Respekt und Toleranz – ich möchte fast sagen: Demut – zu begegnen. Und auch, sich nicht über verschossene Elfmeter lustig zu machen.

Geduld

Was sagt uns die EM zum Thema Geduld? Ohne Geduld geht es doch nicht! Wenn Thomas Müller die Geduld verlieren würde, weil er immer noch nicht sein heiß ersehntes EM-Tor geschossen hat, dann wäre er fehl am (bzw. auf dem) Platze. Vor allem wäre er dann nicht der Weltfußballer, der er ist. Wer die Geduld verliert, der verliert die Ruhe und Gelassenheit. Der macht Fehler und steht sich selbst im Weg. Während der 90 oder 120 Minuten eines solchen Spiels können wir viel über Geduld lernen. Man erobert den Ball, versucht einen Spielzug, wird gestört, verliert den Ball, erobert ihn wieder… Wieder und wieder… Wer da die Geduld verliert, kann nicht weiterspielen. Aber es geht. Immer weiter. Wer die Ruhe und Geduld bewahrt, wird am Ende belohnt.

Vielleicht. Das letzte Wort hat natürlich der „Fußball-Gott“. Oder der Orakel-Dackel. Wenn’s nix wird mit der Meisterschaft, dann übt man sich eben in Akzeptanz. Toleranz. Geduld. Und peilt das nächste Ziel an. Mit Anfängergeist. Immer wieder.

Ich wünsche Euch noch viel Spaß bei der EM – und vielleicht schaut Ihr Euch die verbleibenden Spiele mal mit dem „Achtsamkeitsblick“ an. Quasi als Übung für den Anfängergeist…  🙂